Hartmut und Marcus wandern auf den Spuren des Ultralaufs 2014

Eine Wanderung von Dresden nach Berlin, oder wie lenke ich mich in diesen Zeiten ab.

Verletzungsbedingt bin ich in den letzten Monaten mehr gewandert als gelaufen. Die Strecken wurden immer länger. Meine Arbeit musste zusätzlich ruhen 👉 Lockdown.
So reifte in mir der Plan, etwas Größeres zu machen, zumal wir den Ultralauf 9.0 Görlitz + X verschieben mussten.
Nur welche Strecke? Die Corona Regeln galt es ja zu beachten.
Eine Stern-Wanderung mit der heimatlichen Wohnung als Verpflegungsbasis war mir zu einfach. Ich wollte es ultramäßiger, ohne Netz und doppelten Boden.
Irgendwie kam mir Berlin als Ziel in den Sinn.
2014 bin ich mit meinen Ultralauf-Freunden schon mal Dresden-Berlin gelaufen. Den Link von Ulf Kühne auf AllTrails gab es noch.
Diesen nutzte ich zur Navigation, aber vieles musste ich diesmal anders planen.
Hotels zum Übernachten waren geschlossen. Verpflegungsauto konnte ich keins organisieren und die vielen Auflagen in der Situation galt es obendrein zu beachten.
Aber wer mich kennt, der weiß: „Was der Hartmut sich in den Kopf setzt, das zieht der auch durch.“
Mit Jens Kafka bin ich zum Training einige Male mehrstündig im Dresdner Umland gewandert.
Marcus Oertel, Ultraläufer genau wie ich und ein guter Wanderer, habe ich gefragt, ob er denn mitkommen möchte.
Wir ließen es langsam angehen. Unsere jeweiligen Arbeitsstellen ruhten ja.

1. Abschnitt

Am 26. Februar sind wir gestartet am Albertplatz in Dresden.
Marcus wollte nur zum Abendessen wieder zurück sein, somit hatten wir fünf bis sechs Stunden Zeit.
Auf „kurzem“ Weg verließen wir die Stadt in Richtung Flughafen. Ab da begann die 2014er Ultralauf-Route.
Wir haben viel geredet über Sport, Gott und die Welt und die Kilometer purzelten.
Über den Rückweg hatte ich mir noch keine großen Gedanken gemacht – Sachsen ist mit seiner Verkehrsinfrastruktur eigentlich ganz gut aufgestellt.
Als unsere Wanderzeit um war, schaute ich in meinen Fahrplan und da sah es nicht gut aus, denn ab Thiendorf ging es nur spärlich zurück. Marcus erinnerte mich an sein Abendessen.
Da blieb nur Plan M übrig. Das M steht für Mausi. Mit aller Diplomatie konnte ich meine Frau überzeugen, uns mit dem roten Citroën-Express-Auto vor Ort abzuholen.
So endete der erste Abschnitt pünktlich in Thiendorf / LKR Meißen.

Den 2. Abschnitt

begannen wir am 5. März um 17:35 Uhr wieder in Thiendorf. Die damaligen Auflagen ließen das Ziel in Berlin zu.
Meine Frau hat uns wieder zum Start gefahren. Danke Mausi.
Meine Gedanken zum Thema Verpflegung waren rückwirkend betrachtet, etwas blauäugig. Gels, Riegel von GU und eine Konserve mit Fleisch, mehr ging in meinen Laufrucksack nicht rein. Sechs Kilogramm wog das gute Stück…
Marcus war mit seinem Wanderrucksack besser ausgerüstet.
Im Vorfeld hatten wir uns schon damit beschäftigt, wie lange wir wohl wandern können, ohne zu schlafen.
1999 war ich zur Geburt meiner ältesten Tochter 36 Stunden munter gewesen. Beim Treppenmarathon in Radebeul waren es über 24 Stunden.
Von Thiendorf bis zu unserem Zielpunkt in Berlin wären es theoretisch 160 km gewesen. Bis Zossen wären es 127 km gewesen…
Mit diesen Gedanken ging es auf den 2. Abschnitt, locker und zügig in die erste Nacht.
Je tiefer die Nacht, desto kälter die Nacht. Das setzte uns zunehmend zu. Zum Jammern blieb keine Zeit, wir wollten weitere Kilometer machen.
Dank des Streckenlinks auf meinem Garmin Oregon war unser Weg sehr gut vorgezeichnet.
Einmal, als ich nicht auf mein Garmin geschaut hatte, rief mich Marcus aus meinem „Tunnel“ mit den Worten: „…Hartmut ich glaub, wir müssen hier in den Wald abbiegen…“
Da waren meine Sinne wieder wach und so ging es in den Wald.
Ohne Aussicht auf ein warmes Getränk gingen wir zielstrebig weiter. Wir aßen spontan und sporadisch aus dem Laufrucksack.
Ich vermisste hier die VP-Punkte von den Marathon-Veranstaltungen und des Ultralaufs Dresden mit den freundlichen Helfern.
Marcus spürte, dass es mir nicht gut ging. Das Gewicht meiner persönlichen Ausrüstung drückte sehr auf meinen Rücken / mein Gemüt.
Er bot mir an: einen Teil meiner Ausrüstung in seinen Rucksack zu übernehmen. Dankend nahm ich sein Angebot an.
Hinter Lauchhammer kam uns eine Funkstreife der Polizei entgegen. Es folgte eine Kontrolle. Ganz nett, freundliche Beamte mit der Frage: „Wo wollt Ihr denn hin …?“
Ehrlich geantwortet mit: „… nu nach Berlin.“ Herrlich, die Blicke der Polizisten. Wir setzten unsere jeweiligen Wege fort…

So gegen 3.20 Uhr erreichten wir den Ort Finsterwalde. Die Temperaturen waren unter –5 °C. Marcus bat um eine Pause zum Aufwärmen. Genau da schickte uns der Wandergott ein offenes Tor.
Das Tor hatte ein großes rotes S darüberstehen. Es war heiß wie in der Hölle, der Raum dahinter mit Geldspielautomaten und vieles mehr.
Wir genossen einfach die Wärme und unsere Augen fielen zu.
Plötzlich stand der T… vor mir. Zum Glück war es nur ein Bürger des Ortes auf Suche nach…
Aber: „Ein Koch schläft nicht, er schlummert nur“. Das hat uns „gerettet“ 😀
Kurz nach 6:00 Uhr ging es ohne Frühstück weiter.
Am Ende des Ortes eine offene Tankstelle, wo es das erste Heißgetränk seit Stunden gab.
Frisch gelaunt ging es weiter. Kilometer machen – unser Motto des Tages. Und dann kam die Sonne raus – super.
Wir kamen gut über den Tag. Gerne hätten wir im Privat-Wald-Hotel etwas die Augen zugemacht. Zum Schlafen war der Untergrund sehr geeignet, aber die „Raumtemperatur“ zu kalt.
Die Pausen blieben so kurz und es ging immer weiter in Richtung Hauptstadt der Republik.
Gedanklich gingen wir die Distanz immer wieder durch.
Unsere Fragen drehten sich darum, ob wir die zweite Nacht bei den Temperaturen schaffen würden.
Unser Tempo ließ zudem nach…
Ich schaute im elektronischen Fahrplan nach möglichen Heimfahrten/Abfahrtsorten.
Nach langem Hin und Her entschieden wir uns für Dahme/Mark.
Dort erwischten wir den letzten Bus des Tages um 18:00 Uhr!
Zossen erschien uns in unserer derzeitigen Lage zu weit.
Zehn oder 20 km hätten wir sicher noch geschafft. Dann wären wir aber irgendwo im Wald gestrandet, ohne mögliches Hotel „S“ und der Plan M war hier nicht verfügbar.
Lieber mit dem ÖPNV nachhause als eventuell mit einem Auto der Behörden.
So beendeten wir diesen Teil aus Gründen der Vernunft in Dahme.
Wir beide sagten uns, dass wir die restlichen Kilometer irgendwann nachholen werden!
So entstand der Plan zu Dahme/Mark – Berlin.
Große Überlegungen wurden diesmal zur An/Abreise angestellt, denn von Berlin nach Dresden kommt man in der Zeit von 20:00 bis 6:00 Uhr in direkter Verbindung sehr schlecht.

3. Abschnitt : Dahme/Mark-Berlin

Wir nahmen am 27.3. um 7:00 Uhr den ersten Zug von Dresden nach Dahme. Mit nur zwei Mal umsteigen kamen wir um 9:30 Uhr am Startort an.
Bewusst setzten wir uns kein Zeitlimit, buchten keinen festen Zug ab Berlin.
So konnten wir gedanklich freier wandern.
Die Temperaturen versprachen diesmal mehr Frühling.
Ausrüstungstechnisch hatte ich mich verbessert.
Dank Sportfreund Jens Kafka konnte ich mir einen Wanderrucksack umschnallen.
Und diesmal hatten wir auch nur eine Nacht(wanderung) vor uns.
Somit gute Voraussetzungen für eine erfolgreiche 80 km Wanderung.
Die Kilometer und Stunden purzelten nur so.
Den Wunsch, nach einem weiteren Kaffee oder einer Einkaufsmöglichkeit konnten wir uns aber erst nach neun Stunden erfüllen. Bis dahin nix und das Mitten in Deutschland.
Bald war es dann auch schon wieder dunkel. Ich zog mir zur Sicherheit meinen Reserve-Pullover an. Der Frühling vom Tage war vorbei. In der Nacht versprach es wieder Winter zu werden…
Nach Mitternacht war der Wunsch nach Hotel mit dem roten S wieder da. Marcus bemühte sein Handy. Das vorliegende Netz ließ eine Suche im Internet zu…
Gegen 0:45 Uhr standen wir wieder vor diesem schönen Raum. Diesmal war es die Ausführung „Himmel“ vor uns.
Kalt und kleiner als in Finsterwalde, trotzdem wurden wir herzlich aufgenommen.
Um 3:00 Uhr Sommerzeit gingen wir auf die letzten Kilometer. Den Atem von Berlin konnten wir schon förmlich spüren.
Da kein Polizeirevier in der Nähe war, gab es auch keine Funkstreifen.
Gegen 4:30 Uhr wurde es nochmal schwer. Der Marathon-Mann mit dem Hammer stand auf dem Weg. Wir sind uns sicher, wenn ein Auto da gewesen wäre. Dann wären wir hier bestimmt eingestiegen.
Der Wille und der fehlende ÖPNV trieben uns weiter in Richtung Ziel.
Wir mussten den Ort Roter Dudel erreichen. Denn von da aus ist es nur noch kurz bis Berlin.
Ab da lief es wieder richtig gut.
Das Orteingangsschild der Hauptstadt erreichten wir gegen halb sechs. Das Pflichtziel war erfüllt. Jetzt war alles nur noch Kür.
Der Anhalter Bahnhof oder der Hauptbahnhof? – da konnten wir uns noch nicht entscheiden. Wir einigten uns, bis ca. 7:30 / 7:45 Uhr auf der originalen Ultralauf Strecke von 2014 zu bleiben.
Dann wollten wir festlegen, ob U/S-Bahn oder einfach weiterwandern.
Am U-Bahnhof „Alt-Mariendorf“ stiegen wir in den Untergrundzug.
Denn kurz nach 9:00 Uhr fuhr ein schneller Zug ab Hbf nach Dresden zu einem guten, fairen Preis.
Marcus wollte mich überreden, das Ticket gleich online zu buchen. Ich lehnte ab, da ich den (Irr)Glauben hatte, dass sich so kurz vor der Abfahrt nix am Preis ändern würde.
Das müssen die Finanzjongleure der DB gehört haben. Als wir gegen 8:20 Uhr am Automaten am HBF kaufen wollten, war das Ticket von 25 € auf 39 € pro Person gestiegen. Mit erhöhten Blutdruck ging es ins Reisezentrum. Eine wirklich nette Mitarbeiterin erklärte uns in zwei Minuten das Buchungssystem der DB. Versöhnlich verwies Sie auf den IC um 10:12 Uhr zum Sparpreis von 29 € pro Person.
So konnten wir noch zwei bis drei Kilometer im Regierungsviertel machen. Mit der Wachmannschaft am Bundeskanzleramt haben wir uns sehr nett unterhalten.
Um 10:00 Uhr waren wir zurück am Hbf. Pünktlich ging es ohne Umsteigen direkt zurück nach Dresden.
Ein roter Citroën holte mich wieder ab. Danke Mausi!
Zu Hause gab es Mittag, warmes Essen im Sitzen, entspannt in einem geheizten Raum. Das wusste ich sehr zu schätzen, denn das kann man nicht immer haben.
1. Was hat mir am meisten gefallen?
2. Und was habe ich am meisten vermisst?
1. Die Freundschaft zu Marcus. Wir haben uns gezogen, motiviert, gekämpft, uns gegenseitig geholfen in guten und schwierigen Augenblicken. Einer war für den Anderen da.
2. Wie schon 2016 auf dem Weg von Poznan nach Vilnius, muss ich sagen: ein WC aus Porzellan. Die sibirische Variante geht zwar auch, ist aber auf Dauer keine so gute Lösung.

Danke an dieser Stelle an Mausi, Reiner, Jens, Marcus, Ulf und die vielen stillen Helfer.

Hartmut Kohn

 

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