Letztes Jahr im November haben wir uns für den
Traildorado angemeldet. Das ist eine 24 Stunden Trailrunning-Party auf einem Rundkurs von ca. 4 km und 130 Höhenmetern. Meine Uhr sagte mir zwar mehr, aber das wurde auch direkt beim Briefing erklärt, dass jede Uhr andere Daten liefert und somit ein Mittelwert genommen wurde. Aber im Prinzip ist es auch egal, man musst die Anstiege so und so hoch…aber dazu später mehr.
Bei der Anmeldung habe ich noch gesagt, mal sehen, wie die Saison läuft, entweder ich laufe durch und sehe, wie weit ich komme oder genieße einfach die Party am Lagerfeuer, das im Vorfeld hoch gelobte Essen an der Verpflegungsstation und halte, wenn gewünscht, einen Vortrag über unseren Start bei „The Track“ Australien.
Nach dem TAR bis Ende Dezember bin ich kaum paar Kilometer gelaufen und im Januar/Februar wirklich absolut nicht. Die Achillessehne wollte einfach nicht besser werden. Viel Physio, täglich Yoga, dehnen, rollen, Ernährungsumstellung…haben es dann möglich gemacht, dass ich Anfang März die ersten Meter wieder schmerzfrei laufen konnte. Und dann kam Corona. Läuferisch für mich eigentlich ganz super, da ich für die Wettkämpfe sowieso noch nicht fit war. Also war die Entscheidung dann irgendwann klar, der Traildorado wird durchgelaufen und Saisonhöhepunkt…alles oder nichts.
Die letzten zwei drei Wochen vorher habe ich mich dann ziemlich intensiv mit der Strecke und den Ergebnissen aus dem Vorjahr beschäftigt. Und so stand mein Rundenziel schnell fest. Es sollten 30 Runden werden, wenn alles optimal läuft und der Körper ohne Verletzungen, Komplikationen mitmacht. Den Zieleinlauf im Kopf visualisiert, eine kleine Kastanie, welche mir beim letzten Trainingslauf vor die Füße gefallen ist, als Glücksbringer im Rucksack, ging es mit der Bahn nach Arnsberg. Ich hatte massenhaft Wechselsachen im Gepäck, da die WetterApp anfangs Dauerregen angezeigt hat.
Am Freitag sind wir dann die Strecke schon mal abgewandert. Und es war klar, es wird hart. Die Anstiege haben es ganz schön in sich und immer und immer wieder hoch. Ein Stück schön verwurzelt und eng…das wird lustig in der Nacht mit Stirnlampe und schon vielen Stunden auf den Beinen. Ansonsten eben eine schöne Strecke durch den Wald. Nichts Besonderes, wäre eine schöne Trainingsstrecke für kürzere Trainingseinheiten. Wie sagte Michele Ufer beim Briefing so schön, wir sind nicht wegen der genialen Strecke, tollen Aussichten und Landschaft hier, sondern wegen dem Event, der Party. Genau das trifft es perfekt. Michele und sein Team haben ein unvergessliches Event auf die Beine gestellt und unter Coronabedingungen zum Glück durchführbar gemacht. Alles war super und liebevoll organisiert, es hat an nichts gefehlt. Man merkt, dass alle Helfer mit viel Herzblut dahinterstecken. Ganz herzlichen Dank dafür.
Am Freitag haben wir die ersten Bekannten getroffen und andere FB-Bekannte persönlich kennengelernt. Wenn auch mit Maske und manchmal den Einen oder Anderen erst nicht erkannt, das Wiedersehen oder kennenlernen war einfach schön. Da es am Samstag erst 12 Uhr an den Start ging, brauchten wir auch nicht so zeitig zu Bett und konnten noch gemütlich quatschen.
Am Samstag dann das Briefing und los ging es Richtung Startlinie. Für den Traildorado wurde von Andy Jones ein eigenes Lied komponiert und erstmals der Öffentlichkeit präsentiert.
Dann ging es an den Start, noch das legändere Eröffnungslied „I like to move it move it! gerockt und los ging es. Die erste Runde wird von allen gemeinsam gelaufen vorneweg Michele. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass die Beine schwer sind. Gedanken gingen durch den Kopf. Aber eigentlich kenne ich die schweren Beine zu Beginn schon. Nach der ersten Runde hieß es dann Feuer frei und die ambitionierten Läufer und die Staffelläufer stürzten los. Gunnar noch kurz viel Glück gewünscht und unsere Wege trennten sich. In der dritten Runde lief es dann rund und ich überlegte mir die endgültige Rennstrategie.
Da ich mein Tailwind in der Trinkblase dabeihatte, wollte ich immer 5 Runden laufen und dann die Verpflegung ansteuern. Für diese Zeit sollte ich also ausreichend versorgt sein und ich hatte immer ein gutes Teilziel im Auge. Es fühlte sich auch wirklich richtig perfekt an. Ziemlich zu Beginn der Strecke musste man den ersten steilen Anstieg hoch. Oder als Alternative paar Meter länger dafür aber nicht so steil…genannt die Pussy-Lane. Die ersten zwei Runden bin ich steil hoch. Meine Waden fanden es nicht ganz so toll. In der dritten Runde dann die Alternative probiert. Die war schon angenehmer und man hat nicht so viel Zeit durch die paar Meter mehr verloren. In der vierten Runde stand der Fotograf genau an dieser Stelle und a) wollte ich mir die Blöße nicht geben und b) war bis dahin auch noch der Plan immer abwechselnd einmal so und einmal so nach oben. Ab Runde 5 bin ich dann allerdings nur noch eine Pussy gewesen😉 Die Waden haben es mir gedankt und der Tag war ja noch lang. Nach dem Anstieg ging es dann noch ein Stück weiter nach oben und dort ein Schild mit dem Motivator. Michele ist eben ein Mentalcoach durch und durch. Er meinte noch beim Briefing, wenn es regnet…er lächelt, wenn es euch schlecht geht…er lächelt…lächelt einfach zurück.
Und das habe ich gemacht, habe mit ihm gesprochen und in der letzten Runde habe ich mich tatsächlich von ihm verabschiedet. Jetzt ging es mehr oder weniger flach auf einem schönen Waldweg weiter, mal etwas hoch und runter um uns anschießend auf einem schmalen verwurzelten Trail durch den Wald zu führen. Hier hatte ich vor der Nacht meinen Respekt, wenn man müde und mit Stirnlampe vielleicht doch nicht mehr so aufmerksam ist. Das Problem war allerdings viel später ein ganz anderes. Anschließend ging es den zweiten Anstieg hoch, um dann erst auf einem etwas verwurzelten aber breiten Weg abwärts auf ein Stück Waldautobahn zu gelangen. Ein Wanderweg am Waldesrand an dessen Ende viele Läufer mit Camper ihr Verpflegungsstation aufgeschlagen haben, noch ein Stück bergab Richtung Start und Ziel. Hier hörte man schon von weiten die gute Stimmung. An die Blackbox musste man Runde für Runde seinen Chip anhalten, so wurden Runden und Zeit gezählt. Die Blackbox gab immer schöne Kommentare von sich, wie: „Das Wetter macht dir wohl nichts aus?“…auch mit der habe ich Runde für Runde geredet.
Oh Gott…was Laufen im Kreis mit einem so alles macht😊 Ich habe auch kaum noch ein Zeitgefühl, wann was war. Ich weiß, ich habe die ersten 20 Runden an meiner Taktik festgehalten, aller 5 Runden an die Verpflegung zu gehen. Das hat wirklich super funktioniert. Ich wollte, so viele Runden wie möglich im hellen laufen. Naja, für meine Verhältnisse hat das auch funktioniert. Es hat am Nachmittag angefangen zu Regnen und ich glaube gegen 18 Uhr wieder aufgehört. Damit hatte ich erstaunlicherweise absolut kein Problem. Irgendwann habe ich in der Ferne im Basecamp Gunnar gesehen und dachte noch, er wird mich sowieso gleich überholen, also brauchst du nicht warten. Aber irgendwie kam er nicht. Gegen 20 Uhr stand er dann auf einmal aber vor mir im Basecamp und hat gegessen. Da habe ich mir dann auch eine Portion Nudeln genommen, haben ihm noch den Zimmerschlüssel gegeben, er wollte sich nur umziehen und ich bin wieder weiter. Aber Gunnar überholte mich nicht mehr. Nach paar Runden hätte er das eigentlich wieder tun sollen. Dafür kreiste ein Hubschrauber über Arnsberg. Ich bekam richtig Panik, schaute dann auch bei den Sanitätern nach…kein Gunnar…ich war erst einmal beruhigt, dass ihm scheinbar nichts passiert ist, aber wo war er? Dann die erleichternde Nachricht von Lutz Kalitzsch, Gunnar ist nicht mehr warm geworden und hat sich schlafen gelegt. Jetzt war klar, ich muss wirklich alleine durch die Nacht. Aber ich wusste auch, dass ich die mentale Stärke habe. Ich kannte es von Australien. Ich hatte das Ziel genau vor Augen und den starken Willen. Noch dazu habe ich mich allmählich auf den Platz drei in der Gesamtwertung der Frauen vorgearbeitet. Ab Runde 22 wurde es dann zwar gefühlt immer schwerer, ich war auch öfters an der Verpflegung, habe warmen Tee und Gemüsebrühe getrunken, Kleinigkeiten gegessen, allerdings wirklich nur das was ich auch vertrage, die Atmosphäre genossen und bin wieder losgetrabt. Rechnen konnte ich nicht mehr wirklich. Nach 15 Stunden dachte ich es ist um 5 Uhr und es wird bald hell…da war es gerade mal 3 Uhr. Mit der Dunkelheit hatte ich absolut kein Problem, im Gegenteil. Auch wenn man die Strecke ja nun schon in und auswendig kannte, war es im dunklen gefühlt einfacher den Berg hoch zu gehen, da man ja die Steigung nicht sieht. Es ist wirklich so vieles reine Kopfsache. Mein größtes Problem waren riesige Blasen unter den Füßen. Auf dem verwurzelten Stück merkte ich richtig, wie ich auf diesen hin und her schwamm und wie groß die sein müssen. Da hat schon jeder Schritt wehgetan und ich habe ziemlich gejammert. Danach habe ich meine Füße im Schuh wieder zurecht geruckelt und die Blasen an ihre Stelle und weiter ging es.
In den langen Nachtstunden habe ich oft an die letzten Worte meiner Mama gedacht. Sie ist genau vor zwei Jahren gestorben. Diese Worte bedeuten mir so viel und geben mir so viel Kraft. Ich habe an Claude Nilles gedacht, mit dem wir letztes Jahr in Australien gelaufen sind und vor wenigen Tagen den Kampf gegen den Krebs verloren hat….Ruhe in Frieden lieber Claude! Ich denke an Andrea Löw , die gerade 100 km durch die Wüste in Tunesien läuft. Ich denke an meinen Sohn Vincent Schwieck als kleiner Junge, der durch den Pool schwimmt mit den Worten: „Ich schaffe das!“ Ich denke an meine Affirmation aus einer Yoga-Stunde: Mit Kraft und starken Kopf den Traildorado finishen. Und so wird es allmählich hell, es kommen wieder mehr Läufer auf die Strecke und ich habe noch immer Platz drei bei den Frauen. Manche Frauen, die zügig an mir vorbei liefen sprach ich an, um herauszubekommen, ob sie mir meinen Platz streitig machen könnten. Natürlich nie direkt😉 Auch Gunnar tauchte dann irgendwann wieder auf. Die Runde selbst lief er zwar schneller als ich, wartete aber im Start/Zielbereich auf mich und gab mir Informationen zu meiner Verfolgerin. Rechnen konnte ich jetzt selbst überhaupt nicht mehr. Aber schnell wurde dann klar, wenn ich den Platz nicht kampflos hergeben wollte, müssen mindestens 32 Runden her. Also war nach der 30 Runde noch nicht Schluss, der Kopf musste umprogrammiert werden und es war wirklich hart. Aber zwei Runden mussten noch her, zur Not wandernd. Und es war ja schließlich auch ein 24 Stunden und kein 22 Stunden-Lauf. Die Anstiege gefühlt hochgekrochen, runter gelaufen, über die Wurzeln geflucht, den Motivator verabschiedet und die letzten Meter weinend vor Freude und Erschöpfung ins Ziel. So wie ich es mir vorgestellt hatte, war es nicht weder springend durchs Ziel noch auf den Boden knieend…nein, ich hätte die Blackbox vor Freude umarmen können. Jetzt war auch klar, den dritten Platz kann mir niemand mehr nehmen. Jetzt musste alles ziemlich schnell gehen, etwas essen, Sachen zusammensuchen, duschen, für die Siegerehrung vorbereiten, Tasche packen, Zimmer reinigen und ab zum Bus und Bahnhof. Für mich war es einfach ein perfekter Lauf, es hat alles gepasst. Ich bin überglücklich und unsagbar dankbar, dass mein Körper diese Leistung mitgemacht hat.
Ein ganz großes Dankeschön geht an Michele und sein gesamtes Team, die Musiker im Basecamp, Karl-Heinz Duda, der mit seiner Gitarre immer auf der Strecke unterwegs war und uns Läufer mit seinen Liedern motivierte, das DRK. Die Verpflegung war einmalig, wie versprochen ein XXL-Büfett und für mich einfach klasse, eine extra vegane Seite mit vielen leckeren Köstlichkeiten. Es hat uns an wirklich nichts gefehlt.